Anlässlich der Hochzeit von Peleus und Thetis waren alle Götter des Olymps geladen – alle waren geladen, bis auf Eris, Göttin der Zwietracht. Und obwohl man durchaus anbringen kann, dass die Zwietracht auf einer Hochzeit wirklich nichts zu suchen haben sollte, darf man sich gleichzeitig die Frage stellen, ob es unbedingt klug ist, sie sich dadurch zum Feind zu machen, dass man sie eben nicht einlädt. Man kann also sehen, dass bereits die Ausgangsbedingung für diese Hochzeitsfeier eine denkbar dilemmatische war.

Eris, die verständlicherweise erzürnt war, trachtete danach, sich damit zu rächen, was sie am besten konnte, und so warf sie mit geübter Hand einen goldenen Apfel zwischen die göttlichen Hochzeitsgäste, der die Aufschrift „für die Schönste“ trug.

Was göttlich ist, ist eitel, und so entbrannte sogleich ein heftiger Streit darüber, wem denn der Apfel rechtmäßig zustehe. Man weiß nicht, weshalb nicht auch beispielsweise Artemis, Persephone oder Eos in die Endausscheidung kamen, vielleicht liegt das im Naturell eine jeden Disputes, dass er manchem irgendwann schlichtweg zu blöd wird, oder man, wohlwollender ausgedrückt, sich nicht in die verhandelten Kategorien fügen will oder kann – jedenfalls präsentierten sich am Ende die Herrschergattin Hera, des Göttervaters Zeus‘ Kopfgeburt Athene sowie die liebliche Aphrodite als Kandidatinnen, die um die Gunst und Auszeichnung des zwieträchtigen Apfels buhlten.

Zeus, dem als caput tabuli die Entscheidung über die Meinungsverschiedenheit oblag, sah sich, vielleicht, um ihn gleich vorneweg zu entschuldigen, ob der Tatsache, dass es sich bei den drei göttlichen Schönheiten um die Gattin, die Tochter und die Adoptivtochter handelte und er sich keine der drei zum Feind machen wollte,  überfordert, begab sich, wie es dem Obersten der Götter bequem zusteht, in seine Rolle als göttlicher Drückeberger und überließ die Wahl einem Repräsentanten unseres Geschlechts, einem Menschen.

Der, welcher zwischen den drei Göttinnen wählen sollte, war Paris, Sohn des Priamos und der Hekabe und Prinz Trojas, der nicht sonderlich bewandert war in der Kriegskunst (was ihm Menelaos später gehörig einbläuen sollte), umso mehr jedoch in jener der Schönheit.
Paris wählte, nach eigenem Ermessen, Aphrodite aus, die ihm die schöne Helena als Dank für die Kür versprochen hatte, wobei er Hera, die ihm Weltherrschaft, und Athene, die ihm Weisheit versprach, seinen Prioritäten gemäß ausschlug.

Und wie eine Wahl, besonders eine ästhetische (abgesehen davon, dass sie nie ausschließlich ästhetisch bleibt – man sieht es an den Bestechungsversuchen) immer des einen Segen und des anderen Verderben ist (um es weniger drastisch auszudrücken: dem einen selbstverständlich, dem anderen unerklärbar scheint), stürzte Paris sich mit seiner Entscheidung in Helenas Arme und gleichzeitig Troja in den Untergang. Freilich konnte er nicht alle Konsequenzen seiner Wahl überblicken – zumindest soll ihm unterstellt sein, dass ihn die Brandschatzung seiner Stadt und die Ermordung seiner Familie noch einmal ins Grübeln gebracht hätte – doch das ist eben das Humane an der conditio humana, und ohne dieselbe wäre es auch ein wenig langweilig.
Das Dilemma der Ausgangssituation ist in jeder Entscheidungsfindung gegeben, dasjenige der Entscheidung an sich ist das zwangsläufige Resultat, das Zwieträchtige  bietet den Nährboden zu jedem ästhetischen Schaffen, den Anlass erst zum Bilden einer Meinung.

Hätte Paris weiser wählen können? Nicht, wenn es nach Paris ging, und genau um ihn ging es ja schließlich. Denn das ist ja das Schöne an einem Urteil: Es räumt auf mit dem Konjunktiv, mit jedem wenn und aber, und setzt stattdessen das Inkrafttreten einer Meinung, wie wohl diese auch begründet sein mag.

Jedes Werk ist ein Urteil über die Welt.